Ist die klassische Werbung vom Aussterben bedroht?
Kunden wollen nichts verkauft bekommen, aber sie lieben es zu kaufen.
Ich bezeichne mich ja oft als einen Old-School-Marketer. Ja, ich komme aus einer Zeit ohne Computer auf jedem Arbeitsplatz und ohne Schnurlostelefone. Dies alleine ist heute schon ein eigenartiges Wort. In der Werbeagentur in der ich meine Laufbahn begonnen habe gab es genau einen Computer – den von der Buchhalterin. Wir hatten kein Fax sondern ein Telexgerät. Die Grafikdesigner haben noch Layouts per Hand angefertigt, ganz ohne Adobe Photoshop und Stockbildern. Und dies alles ist gerade mal 25 Jahre her.
Diese Zeit war wohl die Hochblüte der klassischen Werbung. Alles so schön strukturiert und klar. Es gab TV (2 Kanäle), Radio (Ö1, Ö3 und Ö-Regional), Inserate, Kino, Plakate, Direktmail und Postwurf. Die Konsumenten saßen pünktlich um 19:30 Uhr vor dem Fernsehgerät oder zumindest um 20:15 vor dem Abendprogramm. Wer viel Werbegeld hatte, konnte zu dieser Zeit TV-Werbung schalten. Wir haben auf dem Weg zur Arbeit Ö3 im Auto gehört und uns über Kinowerbung gefreut. Wir wurden schon damals von Werbebotschaften überflutet und haben gelernt damit umzugehen. In den TV-Werbepausen sind wir zum Kühlschrank oder auf die Toilette gegangen. Plakate sind an uns vorbei gerauscht und Zeitungen haben wir nicht wegen der tollen Inserate gekauft. Werbe-Erfolg es war schwer zu messen und das Wort Streuverlust ein nicht so hoch angesehenes. Wir haben da mehr mit der technischen Reichweite argumentiert. Jeder zweite Österreicher liest täglich die Kronenzeitung. Der Marktanteil von Ö3 liegt über 50% und solche beeindruckenden Zahlen kamen gut an. Vorausgesetzt die Werbetreibenden hatten genug Marketingbudget, um sich dies alles leisten zu können.
Nur 15 Jahre danach, so Mitte der 2000-er Jahre war auf einmal alles anders. Google und Facebook sind auf der Bildfläche erschienen. Web2.0 und Social Media waren die Trends der neuen Werbezeit. Die Digitalisierung war nicht mehr aufzuhalten und zwar in allen Lebensbereichen. Wir klassischen Werber haben zwar immer gehofft, dass irgendwann irgendjemand das Internet wieder abstellen wird und einige warten immer noch darauf.
„Märkte sind Gespräche“ stand da im “Cluetrain Manifesto” zu lesen und die meisten haben erst sehr spät begriffen, was dies wirklich bedeutet. Die Asynchronität der Information, die bis zur Jahrtausendwende bei den Unternehmen lag, wurde durch die Digitalisierung aufgehoben. Die Macht der Konsumenten ist für manche schleichend und leise über Nacht gekommen. Informationsbeschaffung geht auf Knopfdruck in Sekundenschnelle und von überall aus. Unsere Verbindung zum Internet ist in unserer eigenen Hosentasche. Wir müssen niemanden mehr fragen, wir googeln einfach eine Antwort – in der Schule, an der Uni und im Büro. Wir brauchen auch keine Angebote von tollen Produkten, die wir gerade jetzt nicht benötigen. Warum um alles auf der Welt soll ich mir einen Windel-TV-Spot ansehen, wenn meine Kinder bereits studieren. Es nervt und stört mich – die ewige Wiederholung der gleichen Botschaft und der ewigen Preisnachlässe. Ich will doch nur meinen Lieblings-TV-Serie ansehen, mehr nicht.
Wir können heute durch Google und Social Media jedes Produkt finden, uns seine Bewertungen von anderen ansehen. Wir haben kurz vor dem Kauf meist mehr Infos als der Verkäufer selbst. Wir sind Kaufexperten geworden und wir brauchen dazu keinen Verkaufsexperten mehr. Wir glauben der eigenen Community mehr als den Werbebotschaften und Salespitches des Vertriebsleute. Sympathie und Vertrauen hilft entscheiden.
Diese Veränderungen gilt es jetzt in unseren Werbe- und Marketingaktivitäten mitzudenken. Wir wollen Marken denen wir vertrauen können und die glaubwürdig sind. Hard-Selling wird endgültig zu Grabe getragen, wenn es nicht eh schon tot ist. In unseren Communities ist kein Platz für noch mehr Werbe- und Verkaufsdruck. Der moderne Marketer gibt bevor er etwas nimmt. Das Credo lautet: Freiwillig geben, geben, geben – dabei Expertise und Vertrauen aufbauen und dann – irgendwann etwas anbieten. Die Konsumenten entscheiden. Das Marketing plant und steuert den Kaufprozess, strategisch und taktisch. Dies ist viel Arbeit, vielleicht mehr als in der alten Zeit – in viel mehr Kanälen. Es bedeutet ein Angebot so attraktiv zu machen, so individuell, dass der Konsument nicht mehr anders kann als zu kaufen. Kunden wollen nichts verkauft bekommen, aber sie lieben es zu kaufen.
In Anbetracht der Digital Natives und des weltweit transparenten Angebotes wird die klassische Werbung zum Auslaufmodell. Einwegkommunikation ist jetzt schon passé. Die Werbeausgaben in klassischen Medien gehen jedes Jahr zurück. Wer glaubt schon einer Werbebotschaft, die sagt, dieses Produkt ist das Beste? Was soll Werbung denn sonst sagen?
Wenn ich heute ein Buch kaufe, gehe ich nicht in die Buchhandlung, sondern auf Amazon. Dort schaue ich mir dann auch die Bewertungen der anderen Leser an, was die so sagen. Denn die müssen nicht. Und schon gar nicht müssen sie Gutes sagen. Die dürfen alles sagen und genießen daher höchste Glaubwürdigkeit. Empfehlung wird zum wichtigsten Marketingtool und zur bedeutendsten Kundenquelle. Ziel im Geschäftsleben ist es, so viel wie möglich davon zu erhalten. Und das geht vor allem durch Top-Produkte und beste Dienstleistung.
Auf Grund der vielen Veränderungen in den letzten 15 Jahren, hat sich unsere Kommunikation und damit auch unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Daher gilt es unsere alten Methoden im Marketing zu überdenken und zwar rasch. Der Markt und die Konsumenten warten nicht bis wir bereit sind. Wir dürfen uns damit anfreunden, dass die Gesellschaft eine andere und bessere geworden ist.
P.S.: Was man nicht alles beim Aufräumen findet. Diesen Artikel habe ich vor ca. 2 Jahren geschrieben und dann in den Tiefen meiner Festplatte verloren. Er hat hier lange genug gelegen und darf jetzt ins Netz.
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